Margarete Schütte-Lihotzky: Pioneering Architect. Visionary Activist.
Info
- Kuratiert von
Bernadette Reinhold, Stephanie Buhmann
- Ort
Austrian Cultural Forum New York
11 East 52nd Street, New York- Öffnungszeiten
Täglich von 10:00–18:00
Das Österreichische Kulturforum New York freut sich die erste Margarete Schütte-Lihotzky (1897–2000) gewidmete Einzelausstellung in den Vereinigten Staaten ankündigen zu können. Sie gilt als eine der ersten Architektinnen Österreichs, als Erfinderin der Frankfurter Küche, als Aktivistin der Frauenbewegung und als Heldin im Widerstand gegen die Nazi-Diktatur. Mehr denn je ist ihre Arbeit als Pionierin sozial engagierter Architektur, oft verbunden mit kollaborativen Praktiken, impulsgebend für eine neue Generation von Künstler:innen, Architekt:innen und politischen Aktivist:innen.
Die von Bernadette Reinhold (Senior Scientist, Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte Kunst Wien) und Stephanie Buhmann (Head of Visual Arts, Architecture and Design, ACFNY) kuratierte Ausstellung zeigt zahlreiche Originalzeichnungen, Pläne und Modelle sowie Fotografien und Archivalien aus dem umfangreichen, in Kunstsammlung und Archiv der Universität für angewandte Kunst Wien verwahrten Nachlass Schütte-Lihotzkys.
Die Ausstellung ist in fünf Kapitel gegliedert, die verschiedene Aspekte von Schütte-Lihotzkys Werk sowie ihre transnationalen Erfahrungen und beruflichen Netzwerke beleuchten. Dabei werden ihr Leben und ihre Arbeit sowie ihr unermüdliches Engagement für soziale Fragen und ihr lebenslanges Wirken in politischen und kulturellen Bewegungen nachgezeichnet. Schütte-Lihotzky erweist sich als bahnbrechende Visionärin, die nie davor zurückschreckte, große Themen wie atomares Wettrüsten, ökonomische und soziale Ungleichheit, Demokratie zersetzende Tendenzen und die weltweite Unterdrückung der Frauenrechte direkt anzusprechen. Ihre unverwechselbare Verbindung von architektonischer Praxis und politischem Aktivismus positioniert sie an vorderster Front dieser drängenden Fragen.
Soziale Architektin
Vor mehr als einem Jahrhundert wagt Grete Lihotzky den für eine Frau damals bahnbrechenden Schritt, Architektur an der Wiener Kunstgewerbeschule (heute Universität für angewandte Kunst Wien) zu studieren (1915–1919). Unter Oskar Strnad widmet sie sich schon während des Studiums der Herausforderung, bis ins kleinste Detail durchdachte, einfach und günstig zu errichtende Arbeiterwohnungen zu entwerfen, die sich an den Bedürfnissen der Bewohner:innen orientieren. Nach dem Ersten Weltkrieg verschlechtert sich die Wohnsituation dramatisch. Lihotzky arbeitet für die Wiener Siedlungsbewegung, unter anderem mit Adolf Loos zusammen. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung kleiner, aber geräumiger Häuser, die leicht erweitert werden können, wie ihr berühmtes Kernhaus beweist. In ihrem ersten Artikel im Schlesisches Heim schreibt sie 1921: "Es kommt nicht darauf an, ob das Haus groß oder klein ist; im Mittelpunkt stehen immer die Haushaltsführung und die alltäglichen Gewohnheiten der Bewohner." Ideen wie diese sind auch heute noch aktuell, ebenso wie ihre Initiative nach Kriegende 1945, "Wärmestuben" für bedürftige Wiener:innen einzurichten. Die Ausstellung im ACFNY gibt einen umfassenden Überblick über die sozial orientierten Architekturprojekte in Schütte-Lihotzkys Schaffen, die sich fast über das gesamte 20. Jahrhundert erstrecken.
Erfinderin der Frankfurter Küche
Im Jahr 1926 wird die damals noch unverheiratete Lihotzky vom legendären Architekten und Stadtplaner Ernst May ans Hochbauamt der Stadt Frankfurt am Main berufen. Mit politischen und finanziellen Mitteln ausgestattet, bekämpft man die Wohnungsnot, nimmt wichtige infrastrukturelle Projekt in Angriff und kann durch bauliche Typsierungen diese Pläne in vergleichsweise schneller Zeit umsetzen. Funktionalität in moderner Formensprache, vor allem aber die soziale Haltung prägen dieses Neue Frankfurt. Schütte-Lihotzky hat sich in den Kanon der Moderne mit der Frankfurter Küche eingeschrieben: ein hochfunktionaler, auf knapp 7 qm organisierter Nutzraum, der in rund zehntausend Wohnungen eingebaut wird – eine Ikone der Designgeschichte und – emanzipatorisch motiviert – zur Reduktion vorwiegend weiblicher Hausarbeit heraus entwickelt. Das ACFNY präsentiert zwei 1 : 50 Modelle der berühmten Küche, darunter auch eine selten gezeigte Variante. Eine lebensgroße Version der Frankfurter Küche ist Teil der ständigen Sammlung des nahe gelegenen Museum of Modern Art in New York.
Verfechterin der Frauenrechte
Schütte-Lihotzkys Bestreben, die Lebensbedingungen von – nicht zuletzt berufstätigen – Frauen zu verbessern, endet nicht mit der Frankfurter Küche. So kehrt sie zwei Jahrzehnte später, 1945, nach ihrer Befreiung aus dem Gefängnis, sofort nach Wien zurück. Wie viele kommunistische Widerstandskämpfer:innen erhält sie im postfaschistischen Österreich in Zeiten des Kalten Krieges kaum offizielle Aufträge, ihre jahrzehntelange, internationale Expertise wird nicht genutzt. Doch sie lässt sich nicht entmutigen. Im Gegenteil: Schütte-Lihotzky spielt eine zentrale Rolle bei der Gründung des Österreichischen Friedensrates und wird die erste und langjährige Präsidentin des Bunds Demokratischer Frauen (BDFÖ). Als Reaktion auf antisemitische Vorfälle gründet sie ein Frauenkomitee, das von 1960 bis in die 1990er-Jahre in der Wiener Urania Filme gegen Faschismus, Krieg, Umweltzerstörung und die Ausbeutung der "Dritten Welt" zeigt. 2021 wird die Wohnung, die Schütte-Lihotzky in den letzten dreißig Jahren ihres Lebens in Wien bewohnte, inklusive des Mobiliars unter Denkmalschutz gestellt. Das Margarete Schütte-Lihotzky-Zentrum fungiert als Forschungszentrum, das sich vor allem mit den oft vernachlässigten Beiträgen von Frauen zur österreichischen Architekturgeschichte beschäftigt.
Visionärin der modernen Kinderbetreuungseinrichtungen
Im 1927 heiratet Grete Lihotzky den Architekten Wilhelm Schütte und geht 1930 mit einer Gruppe unter der Leitung von Ernst May in die Sowjetunion. Schütte-Lihotzky spielt eine entscheidende Rolle bei der der Planung unzähliger Schulen, Kinderbetreuungseinrichtungen und multifunktionalen Kindermöbeln. Inspiriert unter anderem von den Prinzipien Maria Montessoris entwirft sie schon 1929 ihr erstes Kindergartenprojekt und wird in den folgenden Jahrzehnten zur Expertin in diesem Feld. Die Organisation des Raums als optimale Umgebung für die Entwicklung von Kindern wird zu ihrem Hauptanliegen. Ihr Baukastensystem mit modularen, vielseitig wandelbaren Kindergartenpavillons wird später zum Vorbild. In der Türkei (1938–1940) entwirft sie im Rahmen der großen Alphabetisierungskampagne Dorfschulen für Buben und Mädchen, die im DIY-System letztlich viele hunderte Male von den Dorfbewohner:innen selbst gebaut werden. Es folgen Projekte in Bulgarien, Kuba und Wien. Diese Initiativen spiegeln ihre Überzeugung wider, dass die Emanzipation der Frau von rein reproduktiven Aufgaben, wie unter anderem der häuslichen Kinderbetreuung für den gesellschaftlichen Fortschritt unerlässlich ist.
Widerstandskämpferin
Schütte-Lihotzky nimmt, nachdem sie 1937 mit ihrem Mann Wilhelm Schütte Moskau verlässt und längere Aufenthalte in London und Paris folgen, einen Lehrauftrag an der Akademie der Schönen Künste in Istanbul an. Die Stadt ist kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs für viele Exil-Europäer:innen ein sicherer Hafen. Während ihrer Zeit dort ist Schütte-Lihotzky eng mit dem österreichischen Architekten Herbert Eichholzer verbunden, der von der Türkei aus eine kommunistische Widerstandsgruppe gegen das Nazi-Regime organisiert. Im Jahr 1939 wird sie Mitglied der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ). Im Dezember 1940 kehrt sie freiwillig nach Wien zurück und ist dort im kommunistischen Widerstand engagiert. Doch nur 25 Tage nach ihrer Ankunft wird sie am 22. Januar 1941 verhaftet und muss mehrere Verhöre durch die Gestapo über sich ergehen lassen. Während Eichholzer und andere ihrer Gruppe zum Tode verurteilt und 1943 hingerichtet werden, erhält Schütte-Lihotzky eine 15-jährige Haftstrafe. Sie wird schließlich am 29. April 1945 von US-Truppen befreit.
Kuratorinnen
Dr. Bernadette Reinhold ist Kunst- und Architekturhistorikerin, Leiterin des Oskar-Kokoschka-Zentrums und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut Kunstsammlung und Archiv der Universität für angewandte Kunst Wien, wo sich der Nachlass von Margarete Schütte-Lihotzky befindet. Ihre zahlreichen Publikationen, Forschungsprojekte und Lehrtätigkeiten zu Architektur- und Stadtbaugeschichte, moderner Kunst und Kulturpolitik in Österreich werden immer wieder von Ausstellungen begleitet. Sie ist gemeinsam mit Dr. Marcel Bois Mitherausgeberin des Buches Margarete Schütte-Lihotzky. Architektur. Politik. Gender. New Perspectives on Her Life and Work (Deutsch Birkhäuser 2019 / Englisch. Birkhäuser, 2023 erhältlich über Indiepubs).
Dr. Stephanie Buhmann: Head of Visual Arts, Architecture and Design am Österreichischen Kulturforum New York ist Kunst-, Architektur- und Designhistorikerin. Sie hat viel über visuelle Kunst geschrieben und ihre Essays sind in einer Vielzahl von Büchern, internationalen Kunstmagazinen und Zeitungen erschienen. Sie hat Dutzende von Ausstellungen kuratiert und über neunzig veröffentlichte Interviews mit zeitgenössischen Künstlern geführt. Im Jahr 2013 konzipierte sie eine fortlaufende Reihe von Studio Conversations, die sich auf Frauen verschiedener Generationen konzentriert, die in unterschiedlichen Medien arbeiten. Ihre letzte Monografie Frederick Kiesler: Galaxies wurde 2023 veröffentlicht (The Green Box, Berlin). Sie war Mitautorin und Mitherausgeberin von Roma Artist Ceija Stojka: What Should I Be Afraid of?, einer Publikation, die im Januar 2024 vom Hirmer Verlag und dem Austrian Cultural Forum New York veröffentlicht wurde.
Direktorin des Österreichischen Kulturforums
Dr. Susanne Keppler-Schlesinger ist eine österreichische Karrierediplomatin und seit 30 Jahren im Bereich der multilateralen und bilateralen Diplomatie tätig. Zuvor war sie unter anderem in Wien, Paris und New York tätig. Außerdem war sie stellvertretende Direktorin der Wiener Schule für Internationale Studien/Diplomatische Akademie Wien. Sie promovierte in Musikwissenschaft und französischer Sprache und Literatur an der Universität Wien und erwarb ein Diplom als Konzertpianistin am Konservatorium der Stadt Wien.
Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte Kunst Wien
Der umfangreiche Nachlass von Margarete Schütte-Lihotzky befindet in der Kunstsammlung und im Archiv der Universität für angewandte Kunst Wien. Das Österreichische Kulturforum New York bedankt sich bei der Universität für angewandte Kunst Wien für die Leihgabe zahlreicher Ausstellungsstücke.
Kunstsammlung und Archiv dient als materielles Gedächtnis der Universität für angewandte Kunst Wien und spielt eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung der Zukunft der Universität. Es ist ein dynamischer Raum, in dem Forschung, künstlerische und akademische Lehre, Bestandsmanagement, Dokumentation und museologische Arbeit eng miteinander verbunden sind. Das von Cosima Rainer geleitete Institut umfasst Sammlungen aus den Bereichen Kunst, Architektur, Design, Mode und Textil. Es beherbergt auch das Universitätsarchiv, das Oskar-Kokoschka-Zentrum und eine dem Designer Victor Papanek gewidmete Stiftung. Die Geschichte der Wiener Kunstgewerbeschule und das aktuelle Geschehen an der Universität für angewandte Kunst Wien wird dokumentiert, erforscht und über verschiedene Kanäle vermittelt.
Presse
- 'More Than a “Damn Kitchen” Margarete Schütte-Lihotzky’s archive is on view at the Austrian Cultural Forum of New York, marking her first retrospective in the U.S.' by Daniel RocheOnline, 21. 3. 2024
- 'Margarete Schütte-Lihotzky Was More Than Her Hyperorganized Kitchen' by Justin DavidsonOnline, 20. 3. 2024