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Kunst, Architektur und Design News

Hans Felix Kraus (Wien 1916 – 1973 Guadalajara) – Schenkung von Arbeiten an Kunstsammlung und Archiv

Von der Wiederentdeckung eines vertriebenen Künstlers

Im Gedenken an Hans Felix Kraus, der von 1930 bis 1935 an der Kunstgewerbeschule, der heutigen Angewandten studiert hatte, schenkte Helen Kraus der Kunstsammlung Arbeiten ihres Vaters. Der Künstler war schon während des Studiums prominent in Ausstellungen vertreten und zudem als Illustrator, Kunstkritiker und Kurator erfolgreich tätig. Seine Karriere fand allerdings mit dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938 ein jähes Ende. Er floh über Umwege nach New York, wo er weiterhin als Graphiker und Verleger arbeitete. Am 2. September 2024 übergab Helen Kraus in Anwesenheit von Rektorin Petra Schaper Rinkel zahlreiche Holzschnitte, Lithographien, Collagen, sowie von Kraus gestaltete Bücher, die – mit wenigen Ausnahmen – in Wien bis zu seiner Flucht entstanden waren.

Doch wer war der heute völlig unbekannte Hans Felix Kraus und wie kam es zu der Schenkung? Die Vorgeschichte dazu geht mehr als zehn Jahre zurück und begann mit einem E-Mail an den damaligen Rektor Gerald Bast und in Folge an Kunstsammlung und Archiv:

My father, Hans Felix Kraus, graduated from the Kunstgewerbeschule in June 1935. […] With the Anschluss, my father made his way to Lisbon and then to New York City. He lived mostly in New York, dying in Mexico in 1973. My father’s work shows the influences of his training as an artist at the Kunstgewerbeschule and his immersion in the artistic ideas surrounding him. Throughout his life, my father continued to produce book illustrations, paintings, books, articles, and art objects.” Mit diesen Zeilen wandte sich Helen Kraus im April 2013 an die Angewandte. Ein Monat später war sie aus Boston nach Wien gereist, um den Spuren ihres Vaters zu folgen. Die Ausbeute ihrer Recherchen in Kunstsammlung und Archiv der Angewandten war allerdings mager: Neben den Studienunterlagen waren gerade einmal zwei kleinformatige, doch bemerkenswerte Holzschnitte zu finden: eine formal reduzierte, sehr humorvolle Wirtshausschlägerei (1933) und die Einladung zur eigenen Ausstellung in der Wiener Secession (1934). Fragen kamen von beiden Seiten: Wo kann man noch weiter recherchieren? Und umgekehrt: Was hat der Künstler noch gemacht? Weitere Arbeiten im Familienbesitz aus dem Jahr 1934 machten es schlagartig klar: Hans Felix Kraus ist eine Wiederentdeckung wert!

Genau zehn Jahre später, im Mai 2023, wurde in Anwesenheit der extra aus den USA angereisten Familie eine kleine Ausstellung mit Arbeiten von Hans Felix Kraus eröffnet und war im Rahmen der Gedenkinitiative „Sonderfall“ Angewandte. Im Fokus zu sehen (Kuratorin: Bernadette Reinhold). Gezeigt wurden die Illustrationen zu Alphonse Daudets Roman Tartarin de Tarascon (1872) von 1934, die in ihrem Entstehungsjahr in der Secession zu sehen waren – der 18jährige Kraus war zu dem Zeitpunkt noch Student der Kunstgewerbeschule. Sie offenbaren eine einzigartige, witzig-fantasievolle Bildsprache und raffinierte Abstrahierung des Figurativen. Vor dem Hintergrund der Ausschaltung des Parlaments 1933, der blutigen Februarkämpfe 1934 und des Führerkults um Engelbert Dollfuß widmete sich der (kultur-)politisch engagierte Künstler nicht zufällig dem Maulhelden und tragikomischen Löwenjäger Tartarin und illustrierte zeitgleich die Geschichten des Lügenbarons Münchhausen. Nach knapp 90 Jahren wurde der Tartarin-Zyklus erstmals wieder ausgestellt: es sollte nach seiner Flucht aus Wien 1938/39 überhaupt die erste, leider nur posthume Ausstellung von Hans Felix Kraus sein.

Bilder

Besuch von Helen Kraus in Kunstsammlung und Archiv, 2. September 2024: Cosima Rainer, Bernadette Reinhold, Helen Kraus, Sophie Geretsegger

Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte Kunst Wien

Besuch von Helen Kraus in Kunstsammlung und Archiv, 2. September 2024: Petra Schaper Rinkel, Cosima Rainer, Helen Kraus

Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte Kunst Wien, Foto: Bernadette Reinhold

Besuch von Helen Kraus in Kunstsammlung und Archiv, 2. September 2024: Petra Schaper Rinkel und Helen Kraus

Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte Kunst Wien, Foto: Bernadette Reinhold

Besuch von Helen Kraus in Kunstsammlung und Archiv, 2. September 2024: Petra Schaper Rinkel und Helen Kraus

Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte Kunst Wien, Foto: Bernadette Reinhold

Hans Felix Kraus, Wirthauschlägerei, 1933, Linolschnitt, IN 14.052/1

Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte Kunst Wien, IN 14.052/1, © HFK: Helen Kraus

Hans Felix Kraus, Einladung zur Herbstausstellung in der Wiener Secession, 1934, Holzschnitt, IN 14.952/2

Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte Kunst Wien, IN 14.952/2, © HFK: Helen Kraus

Hans Felix Kraus, vor 1938, Foto im Familienbesitz

Ausstellung Hans Felix Kraus – „Sonderfall“ Angewandte. Im Fokus – eine Gedenkinitiative, Schaukasten Kunstsammlung und Archiv, Mai – Juni 2023: Helen Kraus mit Bernadette Reinhold und Gerald Bast

Foto: Lisa Brandl

Ausstellung Hans Felix Kraus – „Sonderfall“ Angewandte. Im Fokus – eine Gedenkinitiative, Schaukasten Kunstsammlung und Archiv #7.2, Mai – Juni 2023, Vordere Zollamtsstraße 7, Wien 3

Foto: Manuel Carreon Lopez, kunst-dokumentation.com

Hans Felix Kraus, Singender Muezzin am Minarett in Algier, Illustration zu: Alphonse Daudet, Tartarin de Tarascon, 1933/34, Wasserfarben auf Papier, Jewish Museum New York

© HFK: Helen Kraus

Hans Felix Kraus, Tartarin und der lahme, blinde Löwe, 1934, Illustration zu: Alphonse Daudet, Tartarin de Tarascon, 1933/34, Wasserfarben auf Papier, Jewish Museum New York

© HFK: Helen Kraus

Hans Felix Kraus, Die Tänzerin Gertrud Kraus, Lithographie, aus der gleichnamigen Serie, Kunstverlag Würthle & Sohn Nachfolge, Wien 1938, IN 19623/3

Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte Kunst Wien, IN 19623/3, © HFK: Helen Kraus

Hans Felix Kraus, Illustration zu Das Lied der Erde, Holzschnitt, 1934, IN 19.625

Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte Kunst Wien, IN 19.625, © HFK: Helen Kraus

Hans Felix Kraus, Illustration des Märchens Der Fischer und seine Frau, Holzschnitt, 1934, IN 19.628/1

Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte Kunst Wien, IN 19.628/1, © HFK: Helen Kraus

Hans Felix Kraus begann 1930 mit jugendlichen 14 Jahren an der Kunstgewerbeschule bei Franz Čižek, Bertold Löffler und Wilhelm Müller-Hoffmann zu studieren und zählte zu den begabtesten Student:innen. Seine Arbeiten wurden bald mehrfach in der Secession (1934), im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie (heute: MAK), in einigen avancierten Wiener Galerien, aber auch in Rom und auf der Weltausstellung in Brüssel (1935) ausgestellt. Er arbeitete zudem als Kurator, etwa einer Schau zu japanischen Kinderzeichnungen (Galerie Würthle Wien), als viel beschäftigter Kunstkritiker für u.a. deutsche und niederländische Zeitschriften und war im international orientierten Österreichischen Kulturbund aktiv. Der junge Künstler war bestens vernetzt: So war er wiederholt als Illustrator für die Büchergilde Gutenberg tätig, die Teil der (deutschen) Arbeiterbewegung war. Er hatte aber auch Kontakte zur heimischen Tanzszene, wie eine noch 1938 veröffentlichte Lithographie-Serie zu Gertrud Kraus demonstriert. Sie war neben Grete Wiesenthal und Gertrud Bodenstein eine der Reformerinnen des freien Tanzes in Wien und wanderte aus politischen Gründen 1934 nach Palästina aus. H. F. Kraus war umfassend literarisch und kunsthistorisch gebildet, wobei er als Künstler sowie als Autor eine große Affinität zu nahöstlicher und asiatischer Kunst zeigte. Seine minutiösen Holzschnitte zum Zyklus Das Lied der Erde oder dem Märchen Der Fischer und seine Frau erweisen sich als Mikrokosmos im Kleinformat.

Mit dem „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland im März 1938 war – wie erwähnt – die Karriere des 22-Jährigen mit einem Schlag beendet. Nach einer strapaziösen Flucht über Italien, Frankreich und Spanien nach Portugal bestieg er mit seiner Mutter Elsa Scheibner (1886–1972), die vermutlich als Journalistin in Wien gearbeitet hatte, im März 1939 in Lissabon ein Schiff nach Southampton. Von dort aus ging es wenige Tage später nach New York. Viele Jahre später erzählte er seiner Tochter Helen über die Flucht mit dem Zug in Italien: “I was talking to a young man in my compartment on the train. We were talking about politics. All of a sudden, I realized he had some sort of Mussolini label on his clothing. ‘Now, I’m sunk,’ he thought. Nothing happened.“ 1

In New York war er weiterhin als Künstler, Autor und Verleger tätig, arbeitete unter anderem für La Voix de France, die Zeitung der weltweit agierenden Bewegung gegen das Vichy-Regime, was eventuell auf während der Flucht geknüpfte Kontakte schließen lässt. Er war mit Alexander Archipenko und vielen Künstlern und Intellektuellen auch in Mittel- und Südamerika befreundet, übersiedelte nach Mexiko, wo er mit nicht einmal 60 Jahren starb.

Kraus ist heute selbst in Fachkreisen völlig unbekannt – der Stachel des Vergessens sitzt tief.
Die erwähnte Ausstellung (Mai – Juni 2023), die Publikation „Sonderfall“ Angewandte. Die Universität für angewandte Kunst Wien im Austrofaschismus, Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit und nicht zuletzt die Sichtbarmachung der großzügigen Schenkung von Helen Kraus sind ein Versuch, den weitgehend in Vergessenheit geratenen Künstler ins kollektive Gedächtnis zurückzuholen und ihm als kritische Stimme der österreichischen Moderne Gehör zu verschaffen.

[von: Bernadette Reinhold]

Fußnoten
  1. ^ Helen Kraus an Bernadette Reinhold, E-Mail 21. Februar 2023.