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Oskar Kokoschka Centre News

Oskar Kokoschka und die Diktatur des Künstlers
Tagungshinweis Die Biographie. Mode oder Universalie? in Basel 2010

Tagung Die Biographie. Mode oder Universalie? in Basel 2010

Im Dezember 2010 fand in Basel eine Tagung mit dem Titel Die Biographie. Mode oder Universalie? statt. Aus verschiedenen Perspektiven wurde die Biographie als Medium der (Selbst-)Darstellung der Lebensgeschichte von KünstlerInnen präsentiert und analysiert. Im Rahmen dieser dreitägigen Veranstaltung hielt Régine Bonnefoit einen Vortrag, der vor allem frühere Kokoschka-Biographien unter einem neuen Licht erscheinen lässt. Kokoschkas Lust am Fabulieren, seine elastische Grenzsetzung zwischen Dichtung und Wahrheit ist auch für seine autobiographischen Texte, nicht zuletzt bei seiner 1971 erschienenen Autobiographie
„Mein Leben“, bekannt. So war er etwa bei der Datierung seiner expressionistischen Dramen sehr auf seine Vorreiterrolle bedacht (Stichwort: Vordatierung) und focht schon 1911 mit seinem früheren Malerfreund Max Oppenheimer einen erbitterten Plagiatskampf. Die
berühmt-berüchtigte Puppe, die er sich 1919 nach Alma Mahler fertigen ließ, ist nicht allein als ein Fetisch unerfüllter sexueller Begierden nach der verlorenen Geliebten zu deuten. Vielmehr war sie für ihn eine Art Kunstprojekt mit hoher Image-Wirkung – bis heute. Wie nicht anders zu erwarten war, zeigte die Basler Tagung, dass sich Kokoschka mit den „Kunstgriffen“ in seiner Biographie in prominenter Gesellschaft befindet und die Dekonstruktion des Künstler-Mythos von der Kunstgeschichte ein hohes Maß an Achtsamkeit erfordert.


Régine Bonnefoit, die an der Universität Neuchâtel Kunstgeschichte lehrt und zugleich als Kustodin der Fondation à la mémoire de Oskar Kokoschka arbeitet, ließ schon mit ihrem Vortragstitel „Kunsthistoriker unter der Diktatur des Künstlers – am Beispiel von Edith
Hoffmanns Kokoschka Monographie von 1947“ einen kritischen Zugang zur lange gepflegten Hagiographie des Künstlers erwarten. In ihrem Abstract schreibt sie: „Kokoschka formte und überwachte mit Argusaugen sein Bild in der Öffentlichkeit“ und belieferte seine frühen
Biographen „großzügig mit vorselektierten Informationen über sein Leben, die diese wortgetreu zu übernehmen hatten.“1
Beispielhaft dafür kann Edith Hoffmanns 1947 im Londoner Verlag Faber & Faber erschienene Publikation Oskar Kokoschka – Life and Work gelten. Die unpublizierte Korrespondenz zwischen der Kunsthistorikerin und dem Künstler, die mit dem komplett überarbeiteten Manuskript im schriftlichen Nachlass in der Zentralbibliothek Zürich verwahrt wird, zeigt wie weit die Kontrolle Kokoschkas über „seine“
Biographie ging und wie wenig er der Autorin ein eigenes Urteil zugestand und erlaubte. Im März 1944 schrieb er an Hoffmann: „Hier sind meine Änderungen in Ihrem Buch. Wenn diese nicht wortgetreu in diesem Buch über mein Leben und meine Kunst aufgenommen
werden, erteile ich nicht meine Zustimmung zur Veröffentlichung. Mein Anwalt wird Ihnen und dem Verlag Faber & Faber diesen meinen Vorbehalt schriftlich mitteilen.“2 Besonders problematisch empfand Kokoschka die versuchte Richtigstellung von Datierungen im Frühwerk, etwa von seinem Drama „Mörder Hoffnung der Frauen“, welches erst durch Patrick Werkners Untersuchungen 1986 korrekt datiert wurden.3 Kokoschka nahm gegenüber Hoffmann in ungeschminkter Weise ein „Informationsmonopol“ (Bonnefoit) für
sich in Anspruch, dem sich die Autorin nur unterordnen konnte: „Welcher Augenzeuge ist verlässlicher als der Künstler, der nicht bloß die kaleidoskopische Welt des Durchschnittsmenschen vor Augen hat, sondern der in der Sinnenwelt den Sinn sucht, die Gründe und Hintergründe!“4 Gutachter wurden bestellt, um den Anteil der Autorenschaft von Hoffmann und Kokoschka nach den massiven Änderungsvorgaben des Künstlers auseinanderzuhalten. Hoffmann gab klein bei und so sollte unter ihrem Namen diese
diktierte Co-Produktion 1947 erscheinen. Im Folgejahr erhob Kokoschka sogar den Anspruch auf das Copyright, da er – wie er wörtlich in einem Brief meinte, der Autorin „fast bis zum Ende diktiert“ habe. Hans Maria Wingler, der 1956 den Katalog der Kokoschka Gemälde
herausgab schrieb in diesem Jahr: „ Natürlich darf über OK nur Vorteilhaftes gesagt werden.“
Wie lange diese Vorgabe galt, zeigt die erst spät, nach Kokoschkas Tod einsetzende kontextualisierte Auseinandersetzung mit seinem Werk und den dazugehörigen Biographien.
(Bernadette Reinhold)

1 Die Biographie. Mode oder Universalie? Abstracts, Tagung 9.–11.12.2010, eikones NFS Bildkritik, Basel, S. 11.
2 Ebenda.
3 Patrick Werkner, Physis und Psyche. Der österreichische Frühexpressionismus, Wien, München 1986, 108–117.
4 Siehe Anm. 1.