Zum Inhalt springen

Collection Art, Architecture, Design Cooperation

Angewandte Fotografie x Kunstsammlung und Archiv

9-teilige Fotoserie, mit einem Text von Georg Petermichl

Plakatieren der 9 fotografischen Arbeiten im Zuge des Angewandten Festivals 2022

Info

Projektleitung

Maria Ziegelböck, Cosima Rainer 

Gastdozenten

Jens Preusse und Georg Petermichl

Fotografische Arbeiten von

Oskar Ott, Olesya Parfenyuk, Michael Giefling, Pia Heer + Vincent Forstenlechner, Lukas Thüringer, Roozbeh Gholami, Mirjam Reiter, Dalmonia Rognean, Lydia Naomi

Team Kunstsammlung und Archiv

Judith Burger, Eva Marie Klimpel, Sofie Mathoi

Im Sommersemester 2022 erhielten Student:innen der angewandten Fotografie Zugang zu einer Auswahl an Objekten aus der Kunstsammlung der Angewandten: Diese Objekte waren Motiv und Ausgangspunkt für fotografische Konzepte, die sich sowohl mit den Werken direkt, als auch mit deren Verhältnis zur Fotografie beschäftigen. Wesentlich war die Betrachtung und Hinterfragung der Konventionen fotografischer Darstellungen von Design und Kunstobjekten, und in der Konsequenz die Ausarbeitung neuer Konzepte: Begriffe wie ‚Dokumentation‘, ‚Repräsentation‘, ‚Interpretation‘ und ‚Fiktion‘ wurden methodisch verschoben und ineinander verschränkt, um neue (unzuverlässige) Erzählungen zu schaffen.

Die entstandenen Arbeiten wurden im Sommer 2022 an der Fassade der Universität für Angewandte Kunst am Oskar Kokoschka Platz als 9 Großplakate veröffentlicht.

Glacéhandschuh, Besuchszeit und Belichtungsmesser – Oder: Diskurselemente einer Unzeitgenossenschaft

Georg Petermichl

Wie immer vor der Aufgabe einer Wortmeldung, stellt sich für mich heraus, dass meine Türme an Begrifflichkeiten schockierend unbefestigt sind: Diesmal musste ich vornehmlich dem Begriff ‚Diskurs‘ nachgehen. Mich überkam das Gefühl, dass das von mir mitbegleitete Kooperationsprojekt von Kunstsammlung und Archiv der Universität für angewandte Kunst Wien mit der Abteilung Angewandte Fotografie, ebenda, etwas mit dem „akademischen Diskurs“ zu tun hat. Und dieser „akademische Diskurs“ ist etwas, das ich gerne hoch halte, um es zu schätzen und einzuschätzen: Es dann im Naserümpfen weiter als für sperrig oder getragen zu befinden – es damit aber eigentlich nur auf den Boden der Tatsachen bringen zu wollen. Und, um es schließlich von dort mit flüssiger Geste durch die Kellertüren der Akademien zu kehren.

Auch wenn er ehrlich ist, halte ich das für einen launigen Kommentar. Es geht vielmehr darum, dass mir der Wortsinn von ‚Diskurs‘ nicht bei der Hand liegt, und es mir daher schwerfällt, seine soziale Bedeutung in eine feste Form zu bringen.

Daher: In der Sozialwissenschaft, genauer in den cultural studies, ist unter ‚Diskurs‘ „ein thematischer Zusammenhang zu verstehen, innerhalb dessen bestimmte Regeln und Praktiken vorherrschen, die die Möglichkeiten von sinnhaften Äußerungen regulieren.“1 Und von dort kommt auch der Hinweis, dass die kulturspezifische Leistung des ‚Artikulierens‘ eine Doppelbedeutung besitzt: Es meint nicht nur „sich äußern“. ‚Artikulieren‘ bedeutet auch ein In-Beziehung-Setzen von einzelnen Elementen, die dadurch „ihre Bedeutung verändern, wodurch sie zu Momenten von etwas ‚Größerem’ werden, nämlich dem Diskurs [...]“.2

Hierbei stellt sich künstlerische Praxis als wandlungsfähiger, widersprüchlicher und streitbarer heraus, aber im Grunde können uns die Überlegungen der cultural studies eine Orientierungshilfe ins Herz des Projekts, also hinter die Abbildungsleistung der Fotografien anbieten:

Wichtig ist, dass die dreizehn zu Projektbeginn beteiligten Fotograf:innen aus ihren jeweils eigenen Zusammenhängen des Lebens und Kunstschaffens kommen. Sowohl die eigene persönliche, als auch die künstlerische Herkunft spielt da eine entscheidende Rolle. Bemerkenswert ist die Aufmerksamkeit der Studierenden dahingehend, dass dieses „Da-Her-Kommen“ immer an eine Grenze führen kann, und dass besonders bei Fotografie die Behandlung von Sujets nur dann eine Grenzüberschreitung zulässt, wenn das nicht auf Kosten anderer Erzählzusammenhänge passiert. Der Grenzgang hat daher wiederkehrend mit dem Eigenen – dem Körper und den Produktionsmöglichkeiten – zu tun.

Die ursprünglich elf Objekte wiederum, besitzen neben ihrem Da-Sein in Form eines Kunst-Seins und Gelagert-Werdens einen jeweils bestimmten Appendix an Herkunfts- und Materialitätswissen, samt der Biografie ihrer Ersteller:innen.

Zur Beschreibung steht damit eine künstlerische Leistung, die sowohl von den Studierenden und als auch den Kunstobjekten erbracht wird, die gemeinsam Assoziationsketten auslösen und in neue Assoziationsketten einführen. Vielleicht ist also der Ausgangspunkt der neun Plakatmotive jeweils als wohlmeinender Besuch zu verstehen – als Besuch von Zeitgenoss:innen bei den abgebildeten Objekten oder umgekehrt. Und, zum Zwecke einer ernsthaften Artikulation. Jedenfalls sehen wir ehrfürchtig gesammelte und behütete Dinge, die aus ihren Archivzusammenhängen in eine Gegenwart gehoben werden. Dabei entsteht etwas Größeres; etwas, das sowohl den Fotograf:innen als auch den von ihnen behandelten Objekten nützt: Aufmerksamkeit, Distribution – und, ein Platz im „Diskurs“.

Fußnoten
  1. ^ Andreas Hepp, Cultural studies und Medienanalyse. Eine Einführung, Westdeutscher Verlag, Opladen 1999, S. 30f. bzw. 36f.
  2. ^ Vgl. ebd., S. 51 (zit. nach Stuart Hall).

Bilder

Oskar Ott: Besteck für Austrian Airlines, 1979 - Andreas Steiner, IN 10.147/O/1-5

Olesya Parfenyuk: Jacke und Schal, Kollektion „Ratio“, 2015 - Kenneth Izedomwen, IN KM 8070 a,b + hair crown “Surviving on the River", 2022 - Adrian Hall Kranz

Lydia Naomi: Vase, um 1928 - Vally Wieselthier, IN 1304/O

Lukas Thüringer: Banknote Hundert Kronen, Österreichisch-Ungarische Bank, 1910 - Koloman Moser, IN 2397/1

Mirjam Reiter: Japanische Tigerkatze Hariko-no-tora, undatiert - Künstler_in unbekannt, IN 15.427/O

Pia Heer + Vincent Forstenlechner: Supraportenrelief für die 14. Secessionsausstellung 1902, Josef Hoffmann, Rekonstruktion des Reliefs, 1985 – Wilhelm Kopf, IN 5335/O

Michael Giefing: Stuhl, stapelbar, 1928 - Friedl Dicker-Brandeis, Franz Singer, IN 16.195/1/M & IN 16.195/2/M

Dalmonia Rognean: Federnhütchen, um 1950 - Adele List, IN KM 100/80

Roozbeh Gholami: Pult, um 1980 - Oswald Oberhuber, IN 10.941/M